Einleitung in die Nordische Mythologie

 

Die nord- und osteuropäische Mythologie verbindet man im wesentlichen mit zwei Hauptgruppen, nämlich mit den Völkern germanischer und slawischer Abstammung.

Zur ersten Gruppe zählen Deutsche, Niederländer, Dänen, Schweden, Norweger, Isländer, Engländer und alle mit ihnen verwanden Völkern, während sich die zweite Gruppe aus Russen, Serben, Kroaten, Bulgaren, Rumänen, Slowaken und Polen zusammensetzt.

Auch andere haben zur mythologischen Tradition dieser Region beigetragen, wie z.b.  die entlang der Ostseeküste angesiedelten Völker: Preußen, Litauer und Letten. Geht man weiter nach Norden, so findet man Beiträge von Finnen und den schwedischen bzw. norwegischen Lappen. Die nördlichsten Völker von allen sind die finnischen Lappen und ihre nächsten Verwanden, die russischen Samojeden.

Beide Völker sind eigentlich die verstreuten Überreste der Uralier, die vor langer Zeit die gesamte Tundra in Europa und Asien bewohnten.

Ihre Glaubensrichtung waren noch bis vor kurzen denjenigen der sibirischen Stammesangehörigen ähnlich.

Die Mehrheit der heute noch bekannten nord- und osteuropäischen Mythologie ist skandinavischer oder isländischer Ursprungs.

Die meisten slawischen Gottheiten sind viel mehr als Namen. Die meisten Mythen wurden vor allen durch das Christentum verdrängt. Als 989 Wladimir in Russland zum orthodoxen Glauben übertrat, kam es in Kiew zu Plünderungen heidnischer Tempel. Glücklicher erwähnten die damaligen Geschichtsschreiber in ihren Berichten über diese Vorkommnisse den sonderbaren Glauben an den Donnergott Perunu oder an Weles, den Gott der Tierherden.

Ohne diese flüchtige Berichterstattung wüssten wir heute so gut wie überhaupt nichts darüber. Aber auch so gibt es Schwierigkeiten aufgrund der heidnischen Vergangenheit Wladimirs vor seinem Übertritt zum Christentum. Er war schwedischer Abstammung, und der „Rus“-Staat, das „Kiewer Reich“ am Dnjepr, fiel als unmittelbare Folge der Wikingerreisen unter seine Herrschaft. Es ist daher wahrscheinlich, dass der slawische Donnergott Perunu bereits einiges von Thors Mythologie absorbiert hatte. Obwohl es zweifelsohne schon vor der Ankunft der Wikinger um das Jahr 860 einen einheimischen Hammergott gab, führte der große Einfluss nordischer Krieger in Nowgorod und Kiew zwangsläufig zu einer Identifizierung des russischen Gottes mit seinem germanischen Gegenstück. Wie stark die Präsens der Wikinger war, kann man anhand des Berichts des arabischen Reisenden Ibn Fadlan ermessen der die Feuerbestattung eines „Rus“ – Führers in einem Boot auf der Wolga im Jahr 922 schildert.

Auf dem Balkan begegneten die Slawen nicht nur dem Christentum, sondern waren später auch für längerer Zeit unter islamischer Herrschaft. Diese lange Isolation von jeglicher slawischen Einflüssen tat der Balkan – Mythologie nicht gut. Da die Mythen niemals niedergeschrieben wurden, ersetzte der Einfluss von Christentum und Islam das Erzählen einheimischer Geschichten. Von der baltischen Mythologie existiert heute so gut wie nichts mehr, obwohl man eine ungefähre Vorstellung von ihren Pantheon hat.

Es ist leider so, dass die europäische Mythologie dem baltischen Schicksal immer nur dann entkommen ist, wenn sie durch einen Zufall der Geschichte niedergeschrieben wurde.

Im Falle der keltischen Mythologie haben wir das Glück, dass sich christliche Mönche in Irland um die Aufzeichnung der alten Sagen gekümmert haben. Das klassische Erbe Griechenlands und Roms wurde ebenso wie das der Kelten in klösterlichen Bibliotheken aufbewahrt, nachdem die germanischen Völker die westlichen Provinzen des Römischen Reiches überrannt hatten.

Auch ein Großteil der germanischen Mythologie wiederum wäre verloren gewesen, hätte sich nicht der isländische Gelehrte und Staatsmann Snorri Sturluson um ihre Erhaltung bemüht.

Zu Beginn des 13. Jahrhunderts schrieb Snorri Sturluson ein Handbuch für Dichter über die Welt der germanischen Götter, wobei die genaue Erklärung zu den alten Mythen lieferte. Er erinnerte an die Sagen der Wikinger- Ära (etwa 750 – 1050), als um die Heldentaten von Odin, Thor und Freyr eine starke Tradition entstand. Noch unberührt vom Christentum stachen die rastlosen und wagemutigen Nordmannen – die Dänen, Norweger und Schweden – in See, um zu plündern und zu erobern. Wikinger – Krieger waren zumeist in kleinen Banden oder Schiffsbesatzungen organisiert und schlossen sich nur vorübergehend zusammen – dann, wenn Militärfeldzüge, Handelsreisen oder Seeräubereien anstanden. Oft dienten sie für eine gewisse Zeit unter einem berühmten Führer, um dann wieder auseinander zu gehen. Manchmal kam es allerdings auch vor, dass sie große Armeen oder Kriegsflotten aufbauten, wie z.B. die Truppen, die 842 Frankreich angriffen oder 866 in England einmarschierten. Ihre hervorragenden Schiffe und ihre meisterhafte Beherrschung der Seefahrt machten sie zu den Herren der Flüsse und Meere und ermöglichten es ihnen, riesige Strecken zurückzulegen.

Es waren die Iren, die am meisten über die Attacken der Wikinger klagten. „Das Meer hat eine Flut von Fremden ausgespuckt, die sich über ganz Irland ergossen hat“, notierte die Annals of Ulster, „ und jeder Hafen, jeder Strand, jede Festung, jede Burg ist unter Wellen von Normannen und Piraten versunken“. Im Jahr 836 beschlossen die Wikinger, im Gebiet des heutigen Dublin einen dauerhaften Stützpunkt zu errichten.

Es überrascht kaum, dass die aggressiven Wikinger – Krieger nur zu gerne von den Heldentaten des einäugigen Odin hören. Dieser König der germanischen Götter übte als „Vater der Erschlagenen“ eine besondere Faszination auf sie aus. Er teilte sich die auf dem Schlachtfeld Gefallen mit Freyja, der Göttin der Fruchtbarkeit. Er inspirierte auch die Furcht einflößender Berserker – menschliche Vernichtungsmaschinen, die sich ungestüm und nackt in den Kampf stürzten. Als sich der dänische König Harald Blauzahn über Odin Launenhaftigkeit beschwerte, weil dieser das Schlachtenglück ebenso schnell wieder entzog wie er es vergeben hatte, sagte der Kriegsgott: „Der graue Wolf beobachtet die Hallen der Götter.“

Indem er die in der Schlacht gefallenen heldenhaften Krieger um sich versammelte, hoffte Odin, der ständigen Bedrohung durch die Ragnarök, den Untergang der Götter, begegnen zu können. Diese toten Krieger, die Einherjar, wurden verzweifelt für die Endschlacht auf dem Kampfplatz Vigrid gebraucht, wo fast alle Beteiligten bei einer Begegnung zwischen den Göttern und den Reifriesen fallen sollten. Odin selbst war es vom Schicksal beschieden, vom Fenriswolf getötet zu werden. Dem monströsen Abkömmling des Feuergottes Loki und der Reifriesin Angrbada.
 

Das „Zeitalten von Streitaxt und Schwert“, das schließlich zur Katastrophe der Ragnarök führte, muss den rauen Wikingern wie ein Spiegelbild ihres alltäglichen Lebens vorgekommen sein. Aber für diejenige, die sich als Siedler niederließen, gab es als gemässigten Alternative zu Odin seinen Sohn Thor. Obwohl auch er „allergisch“ gegenüber Reifriesen war, wird er doch in den Sagen als ehrlicher und einfacher Charakter dargestellt. Er war sehr beliebt bei isländischen Siedlern, die aus dem Süden Norwegens vor den Gewalttaten geflohen waren. Tausende von ihnen brachten ihre Solidarität durch die Wahl ihres Familiennamens zum Ausdruck: Thorsten oder Thorulf waren weit verbreitete Namen.

Thors überirdische Präsenz hatte eine beruhigende Wirkung bei sowohl göttlichen als auch menschlichen Krisen, seien es nun Übergriffe von Reifriesen auf Götter, von einheimischen Tyrannen auf Bauern oder von übereifrigen christlichen Missionen auf heidnische Tempel. Allgegenwärtig war sein Donnerhammer Mjöllnir, ein magisches Instrument der Zerstörung, der Fruchtbarkeit und des Wiederaufbaus. Gegen Ende der Wikinger Ära wurde Thor schließlich zu einen noch größeren Gott als Od
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